Traumjob Wildtierökologin

Im Gespräch: Loretta Leinen

Loretta Leinen, Sie sind Wildtierökologin bei der Naturwald Akademie. Wie haben Sie Ihren Traumjob gefunden?

Kurz: Auf Umwegen. Ich habe Forstwissenschaften und Waldökologie mit dem Masterschwerpunkt Waldnaturschutz studiert und dann lange Zeit leider gar keine Arbeit gefunden. Nachdem ich mich durch eine Anstellung im Servicebereich und später als Gärtnerin verdingt habe, war ich kurz davor, den ganzen Naturbereich hinter mir zu lassen. Als letzten Strohhalm habe ich einen Bundesfreiwilligendienst bei einer Naturschutzorganisation in Hamburg angetreten. Das Arbeiten dort hat mir so viel Freude bereitet, dass ich mich auch in Lübeck engagieren wollte. Bei der Vorstellung eines Projektes beim Lübecker Stadtwald habe ich erfahren, dass man bei der Naturwald Akademie eine Elternzeitvertretung sucht. Meine Bewerbung habe ich noch am gleichen Tag geschrieben. Happy End!

Wie sieht ein typischer Tag im Leben einer Wildtierökologin aus?

Typisch ist, dass meine Wochen sehr abwechslungsreich sind. Ich arbeite mit Kamerafallen im Bereich Wildbiologie. Die müssen ausgelesen und gewartet werden, was immer einen ganzen Tag beansprucht. Meistens setze ich mich dafür um 5 Uhr morgens in den Dienstwagen. Ich bin aber auch für den Bereich Umweltbildung zuständig. Da kann ich gestalten und entwickeln. Am liebsten leite ich Waldführungen mit Menschen, die noch nie mit meinen Augen auf den Wald gesehen haben. Grundsätzlich versuche ich immer, einen Funken meiner Begeisterung für Wälder auf andere zu übertragen.

Was bedeutet Wildnis für Sie? Warum ist sie Ihnen wichtig?

Wildnis bedeutet für mich Stille und das angenehme Gefühl, dass es noch Orte gibt, an denen man sich verlaufen könnte. Es ist nicht der Kontrollverlust, der Wildnis für mich ausmacht, sondern das nicht kontrollieren Müssen. Gleichzeitig bietet Wildnis mir Raum und Zeit, Vorgänge und Abfolgen zu beobachten, die man sonst übersehen hätte. Vom kleinen Pilz oder der Pfütze im umgefallenen Totholz bis hin zum empörten Reh, das man in seiner Mittagsruhe gestört hat. Beruflich besuche ich regelmäßig ein Wildnisgebiet in Brandenburg, um dort meine Wildkameras aufzuhängen und zu kontrollieren. Ich befinde mich dann in einem Wolfsrevier, aber so sehr ich mich auch bemüht habe, ich habe noch nie einen Wolf getroffen. Nur Rehe oder Hasen. Wölfe darf ich aber auf meinen Fotos ansehen, was mir besonders viel Freude bereitet, weil sie sich im Moment der Aufnahme ganz ungestört durch menschliche Einflüsse ihres Lebens freuen.

Was macht Ihren Job besonders? Was war ein besonders wilder Moment, den Sie mit uns teilen möchten?

Besonders setzt voraus, dass es Konventionen und Normen gibt. Die einzige Norm, der ich unterliege ist das gewissenhafte wissenschaftliche Arbeiten. Ansonsten geht es bei meiner Arbeit hauptsächlich darum, Konventionen und Normen zu hinterfragen. Es wird ewig schon so gemacht, aber ist das auch richtig? Sehen wir vielleicht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr? Ich versuche Antworten auf solche Fragen zu finden und was noch viel wichtiger ist: Ich muss Menschen finden, die bereit sind, mir zuzuhören und versuchen, ihnen meine Beobachtungen und Eindrücke nahezubringen.
Meinen bisher wildesten Moment habe ich nachts um 3 Uhr auf einer Straße im Wald erlebt. Es war ein schöner Oktobertag und als Wildbiologin weiß ich natürlich, dass in dieser Zeit mit brunftigem Rotwild zu rechnen ist. Entsprechend achtsam bin ich gefahren. Vor einer kleinen Brücke trat dann tatsächlich ein prächtiger Rothirsch auf die Straße. Ich habe angehalten, das Licht ausgeschaltet und ihn beobachtet. Er war gesund, stolzierte selbstbewusst, aber dennoch zögerlich mitten auf die Straße und blieb stehen. Er hat mich in meinem Auto genauso betrachtet, wie ich ihn. Sein Geweih war über und über mit Gras und anderer Vegetation geschmückt. Dann hat er es sich anders überlegt, drehte um und verschwand wieder ruhigen Schrittes im Wald. Ich bin sehr froh, dass ich in dieser Nacht daran gedacht habe, dass wir Menschen nicht allein auf der Welt sind.

Was sind Herausforderungen für Wildnis, denen Sie in Ihrem Job begegnen?

Wildnis wird oft als Gegenstück zur Nutzung herangezogen. Entweder Naturschutz oder Ökonomie. Punkt. Zum Glück für alle Beteiligten ist es aber eben nicht so einfach. Denn Naturschutz geht zusammen mit Ökonomie. Die zukünftige Ökonomie sollte eigentlich überhaupt nicht mehr ohne Natur- und Umweltschutz gedacht werden. Gerade bei jungen Menschen kann ich gute Diskussionen anstoßen. Sie sind meistens noch so flexibel und kreativ im Denken, dass sie die Notwendigkeit erkennen, dass wir vehement mehr Naturschutz einfordern müssen. Wenn ich komplexe Zusammenhänge erkläre und sich bei meinem Gegenüber der Aha-Effekt in den Augen abzeichnet – das sind meine größten Erfolge.

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