Traumjob Wildnisfotografie in Brandenburg

Im Gespräch: Tilo Geisel

Wie haben Sie Ihren Traumjob gefunden?

Studiert habe ich in den 80er Jahren marine Ökologie. Mein beruflicher Werdegang verschlug mich 1991 in die oberste Naturschutzbehörde des Landes Brandenburg. Die Fotografie begleitet mich seit meiner Jugend. Insbesondere die Naturfotografie kann ich immer wieder mit meinem Beruf in der Naturschutzverwaltung verbinden.

Der Einstieg in die Wildnisfotografie als ambitionierter Hobbyfotograf ergab sich 2019, als die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg – Die Wildnisstiftung das Fotoprojekt „Wildnis im Wandel“ ins Leben rief und mir die Chance gab, dieses fotografisch umzusetzen. Quasi ein „Traumhobby“ für mich.

Ob Traumhobby oder -job – wie sieht so ein typischer Tag im Leben eines Wildnisfotografen aus?

Meine Zeit in der Wildnis liegt oft am Wochenende oder in den späten Nachmittag- und Abendstunden an Wochentagen. Am Wochenende ist zeitiges Aufstehen angesagt, denn die Anreise bis in die Wildnisgebiete beträgt mehr als 100 km. Gerade im Frühsommer bin ich schon ab 3 Uhr unterwegs, um noch bei gutem Licht in das jeweilige Gebiet zu kommen. Am Vortag plane ich die Route im Gelände in Abhängigkeit von Sonnenstand oder nach besonderen astronomischen Ereignissen, z. B. Mondauf- oder -untergang. Oft lege ich Wegstrecken zwischen 7 und 20 km im Gelände zurück, um die jeweiligen Motive zu erreichen. Ausgerüstet mit wetterfester Kleidung, einem so um die 10 kg schweren Fotorucksack (vom Weitwinkel bis 500 mm Brennweite ist alles dabei), Stativ, Wasserflasche und Proviant für den Tag, durchstreife ich die Gebiete immer mit einem Blick nach lohnenswerten Motiven.

Was bedeutet Wildnis für Sie? Warum ist sie Ihnen wichtig?

Unsere Wildnisgebiete sind nicht vergleichbar mit großen, tatsächlich vom Menschen unbeeinflussten Gebieten, wie zum Beispiel in Alaska. Vielmehr handelt es sich um Sukzessionslandschaften auf ehemals massiv vom Menschen veränderten Standorten, die sich langfristig auf natürlichem Wege, über Generationen hinweg, zur Wildnis von Morgen entwickeln dürfen. Der Naturschutz ist heute geprägt durch einen maßnahmenbezogenen Ansatz. Dieser sichert zwar wertvolle Lebensraumtypen und Arten, führt aber gleichzeitig zu einer Unterbrechung natürlicher Prozesse. Dauerhaftes Management macht die Natur nicht natürlicher, wir brauchen neben solchen Naturschutzmaßnahmen auch große Flächen, auf denen sich Natur frei entfalten kann, wo natürliche Prozesse und Abläufe mit einem offenen Ergebnis geduldet werden. Dies ist nach meiner Auffassung nur in Wildnisgebieten gegeben. Hier laufen die Gratisleistungen unserer Ökosysteme, wie Wasserspeicherung, Selbstreinigung, Kohlenstoffbindung und Sauerstoffproduktion ohne Zutun des Menschen ab. Langfristig wird sich hier ein Ökosystem entwickeln, das den anthropogenen Einflüssen des Menschen und dem derzeit rasant ablaufendem Klimawandel gewachsen ist. Wir müssen offen sein für eine solche Entwicklung. Gleichrangiges Ziel des Naturschutzes muss es heute sein, die natürlichen ökologischen Prozesse zu schützen, sie wieder in Gang zu bringen und damit den Ökosystemen eine Überlebenschance zu geben.

Was ist Ihr Lieblingsbild und welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

Eigentlich gibt es nicht das Lieblingsbild. Ich habe viele eindrucksvolle Motive aus den Wildnisgebieten und viele haben irgendeine Geschichte oder sind mit einem bestimmten Erlebnis verbunden. Dennoch möchte ich das folgende Foto erwähnen:

Ich durchstreifte einen Pfad entlang einer ausgedehnten Silbergrasflur und entdeckte durch einen Zufall diese Rothirschstange, die ich aus der Entfernung für einen Ast hielt. Ich probierte einige fotografische Einstellungen, bis dieses Bild dabei entstand. Natürlich ist es kein spektakulärer Sonnenuntergang, aber es zeigt etwas ganz Wesentliches, nämlich die typische Landschaft im Wildnisgebiet in der es große Pflanzenfresser gibt, den Rothirsch. Dieses Foto verkörpert für mich „Wildnis“.

Sie sind oft mit ihren Kameras in den brandenburgischen Wildnisgebieten unterwegs. Was begeistert Sie an diesen Landschaften? Bei den Wildnisgebieten der Wildnisstiftung, in denen ich mit meinen Kameras unterwegs bin, handelt es sich um ehemalige Truppenübungsplätze, auf denen sich seit einigen Jahrzehnten wieder Natur entwickeln darf. Es sind Sukzessionslandschaften – oder klarer formuliert, Entwicklungsbereiche für die Wildnis. Der Wandel über die Jahreszeiten, die phänologischen Abläufe in der Vegetation, aber auch die Entwicklung über viele Jahre hinweg sind nicht nur fotografisch, sondern auch naturwissenschaftlich hoch spannend. Und nicht zuletzt ist es die Hoffnung auf die Begegnung mit den Wölfen. Bisher waren es, bis auf eine Ausnahme, nur die Fährten und das Wissen, dass sie in der Nähe sein müssten.

Gibt es besondere Herausforderungen bei der Wildnisfotografie, wie arbeiten Sie?

Von meiner Arbeitsweise her bin ich ein Jäger, ich durchstreife die Wildnis und lasse mich von der Natur inspirieren, also immer auf der Suche nach dem Licht und dem Motiv. Wildnisfotografie unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der Naturfotografie als solche, nur, dass der Begriff bereits das fotografische Objekt eingrenzt. Die Herausforderung besteht unter anderem darin, dass ich mich in kampfmittelbelasteten Gebieten befinde und von dieser Belastung eine generelle Gefahr ausgeht. Insofern bin ich an entmunitionierte Wege gebunden und muss versuchen, den Charakter der Landschaft, die Eigenart aber auch Schönheit im Wesentlichen von diesen aus zu fotografieren. Das führt dazu, dass ich oft die gleichen Wege gehe und auf bereits bekannte Motive treffe. Darin steckt eine weitere Herausforderung im. Hinblick auf die Kreativität. Ringsum Silbergrasfluren oder Kiefer-Birken-Vorwaldstadien, da bedarf es einiger Ideen, um abwechslungsreiche Aufnahmen zu machen. Oft fotografiere ich das letzte Licht, Farbkontraste, im Gegenlicht, kleine Details am Wegesrand oder spiele mit der Perspektive, um kleinste Elemente, wie Flechten und Moose in den Vordergrund zu bekommen. Besonders gern nutze ich auch lange Brennweiten, um Details aus der Landschaft herauszulösen.

Was war ein besonders wilder Moment, den Sie mit uns teilen möchten? In den Wildnisgebieten Brandenburgs erlebt man immer wieder Überraschungen, oft sind es unerwartete Begegnungen mit Wild oder auch Wölfen, die ich nur ein einziges Mal zu sehen bekam. Viel aufregender war die Begegnung mit Jungfüchsen in einem abgebrannten Kiefernwald, der etwa zwei bis drei Jahre nach dem Feuer langsam zusammenbricht. Unter den vielen umgekippten, entwurzelten Bäumen finden Füchse geeignete Unterschlupfmöglichkeiten. Erstaunlich für mich war, wie schnell die Tiere den durch eine Katastrophe völlig zerstörten Kiefernbestand wiederbesiedeln. Ich verbrachte einige Zeit in der Nähe des Baus, um die neugierigen Jungfüchse zu fotografieren.

Welches sind Ihre nächsten Projekte?

Ich bleibe der Wildnis noch eine Zeit lang treu. Ich werde im Jahr 2023 das Wildnisgebiet Lieberoser Heide in Brandenburg fotografisch erschließen und dabei die anderen Wildnisgebiete nicht aus den Augen verlieren. Ein großes Ziel ist ein Buch über die Wildnisgebiete in Brandenburg. Unabhängig davon werde ich dieses und nächstes Jahr auch auf ausgewählten Trockenrasen in Brandenburg unterwegs sein, um die typische Artenvielfalt auf ausdrucksstarken Fotos festzuhalten.

Tilo Geisels Tipps für gelungene Wildnisaufnahmen

Um eindrucksvolle Fotos zu bekommen, bedarf es sicher einer anspruchsvollen Technikausstattung. Was empfehlen Sie interessierten Laien?

Eine generelle Empfehlung ist wegen verschiedenster individueller Faktoren kaum möglich. Die modernen Kameras, ob Sony, Pentax, Canon oder Nikon o. a. sind inzwischen qualitativ so gut, dass die Bilder technisch in den allermeisten Fällen gelingen. Entscheidend bei der Auswahl ist das Angebot an Objektiven und sonstigem Zubehör und vor allem die Frage, was will ich fotografieren und welches System von der Bedienung am besten zu mir passt, wie die Kamera in der Hand liegt, ob die Bedienung auch problemlos möglich ist, ohne die Kamera vom Auge zu nehmen, sowie das Gewicht der Technik, die Qualität des Suchers und die Robustheit und Wetterfestigkeit. Ich selbst habe mich für Nikon Vollformatkameras mit Zoomobjektiven von 16 bis 500 mm und einem Makroobjektiv entschieden, um alle wünschenswerten Motive in Szene setzen zu können.

Gibt es bestimmte Grundeinstellungen an der Kamera, damit Ihnen ausdrucksstarke Fotos gelingen?

Ja ich denke schon. Etwa 90 % der Landschaftaufnahmen werden mit einem Standardweitwinkelzoom 24/70mm aufgenommen. In der Landschaftsfotografie arbeite ich grundsätzlich mit kleinen ISO-Werten (ISO 200) um Bildrauschen zu vermeiden und einen bestmöglichen Dynamikumfang zu erreichen. Die Kamera ist auf Zeitautomatik gestellt, d. h. ich arbeite hinsichtlich der Bildgestaltung nur mit der Blende. Die Belichtungsmessung erfolgt i. d. R. über Matrixmessung und der Autofocus steht immer auf Einzelfeld und statische Motive. Anders verhält es sich mit meinem Zweitgehäuse, an dem ich permanent das 5,6 /200-500 mm Teleobjektiv montiert habe. Dies dient der schnellen Reaktion, um bei unerwarteten Begegnungen „schussbereit“ zu sein. Dabei wird grundsätzlich mit Offenblende und ISO-Automatik von ISO 200 bis ISO 3200, bei einer Verschlusszeit von 1/500 sec. gearbeitet. Der Autofocus steht auf continius und ist auf dynamische Messung eingestellt. So gelingt es auch, einen Rothirsch beim Wechsel über einen Waldweg noch im Foto festzuhalten.

Welche weiteren Tipps haben Sie für angehende Wildnisfotografinnen und -fotografen?

  • Nutze ein Stativ. Es ermöglicht bei allen Lichtverhältnissen kreative Gestaltungsfreiheit bis hin zur Verwendung von Filtern und Langzeitbelichtungen.
  • Beachte die Drittelregel, der Horizont sollte nicht in der Mitte liegen. Die Horizontlinie kann gestalterisch zur Betonung des Himmels oder des Vordergrundes eingesetzt werden.
  • Der Bildaufbau sollte einen Vordergrund, Mittel- und Hintergrund beinhalten.
  • Weniger auf dem Foto ist mehr : Was ist der Blickfang?
  • Arbeite mit Linien, Wiederholungen, Schärfe/Unschärfe um Tiefe (Räumlichkeit) in das Bild zu bekommen.
  • Vermeide die Normalperspektive, ein niedriger Kamerastandpunkt betont den Vordergrund.
  • Arbeite mit Gegensätzen, Kontrasten, Farb-, Formen-, Hell/Dunkel-Kontrast oder Groß/Klein usw.
  • Fotografiere auch im Gegen- oder Streiflicht.
  • Nutze verschiedene Brennweiten, um Tiefe zu erzielen oder Bildobjekte vor dem Hintergrund freizustellen.

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