6. Wildnis und Natura 2000
Sowohl bei Natura 2000 wie auch bei Wildnis geht es um die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Die Schutzbestrebungen in Natura-2000-Gebieten 1 sind gezielt darauf ausgerichtet, ausgewählte Arten zu bewahren oder Lebensräume in einem bestimmten Zustand zu erhalten. Im Gegensatz dazu zielt der Schutz in Wildnisgebieten explizit nicht auf einzelne Arten oder bestimmte Lebensraumausprägungen ab, sondern ist durch ergebnisoffene Dynamik gekennzeichnet. Dennoch bieten beide Ansätze – Wildnis und Natura 2000 – große Potenziale für Synergien. Etwaige Zielkonflikte können durch eine Zonierung ausreichend großer Gebiete oder dadurch minimiert werden, dass innerhalb einer Region mehrere Natura-2000-Gebiete gemeinsam betrachtet und widersprüchliche Schutzschwerpunkte strategisch aufgeteilt werden.
In der mitteleuropäischen Kulturlandschaft finden sich vielfältige Lebensräume mit einem spezifischen Artenvorkommen. Da es im dichtbesiedelten und durch den Menschen stark geprägten Deutschland kaum mehr ursprüngliche Lebensräume gibt, bietet die Kulturlandschaft zahlreichen Arten Ersatzlebensräume. Für die Erhaltung mancher dieser Lebensräume und Arten, die unter anderem durch die Natura-2000-Richtlinie der EU geschützt werden und dort als Schutzgüter bezeichnet werden, sind spezifische Nutzungen beziehungsweise aktive Pflegemaßnahmen nötig.
Wildnis und Natura 2000 bieten
große Potenziale für Synergien.
Natur verändert sich ständig. Gerade in dynamischen Wildnisgebieten kann es dazu kommen, dass sich Schutzgüter in ihrer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung verschieben. So können im Einzelfall Arten, die vornehmlich an Offenlandlebensräume angepasst sind, (zwischenzeitlich) zurückgehen oder verschwinden, sobald aktive Maßnahmen zur Offenhaltung wegfallen.
Andere, eher ursprüngliche Lebensräume wie beispielsweise Wald- und Küstenlebensraumtypen, Auen, Seen und Moore profitieren erheblich vom strengen Schutz in Wildnisgebieten. Das gilt für einen sehr hohen Anteil an Schutzgütern in den Natura-2000-Gebieten, wie zum Beispiel für Buchenwälder, für deren Erhaltung Deutschland eine besondere internationale Verantwortung trägt. Diese Überschneidungen müssen als Synergien genutzt werden, um Wildnisgebiete zu schaffen. Gleichzeitig sollte für pflegebedürftige Lebensraumtypen in der Managementzone oder außerhalb des Wildnisgebietes nach Möglichkeit Ersatz geschaffen werden.
Aufgrund sich widersprechender Ansprüche lässt sich nicht allen Schutzgütern in jedem Natura-2000-Gebiet gleichermaßen gerecht werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang ein strategischer Ansatz auf höherer räumlicher Ebene, der sicherstellt, dass alle Schutzgüter in einem guten Erhaltungszustand verbleiben. Dabei müssen mehrere Schutzgebiete zusammen betrachtet und bewertet werden können. Auf Einzelgebiets-ebene führt dieses Vorgehen zu einer Flexibilität der Erhaltungsziele. Hier kann sogar eine rechtliche Zusammenführung von Schutzgebieten sinnvoll sein.
Handlungsempfehlungen der EU sollten dazu beitragen, dass ein übergeordneter strategischer Ansatz für Schutzgebiete der Natura-2000-Richtlinie auf Länderebene entwickelt wird, der Spielräume in den Managementplänen zulässt. Best-Practice-Beispiele von Wildnisentwicklung in Natura-2000-Gebieten sollten insbesondere hinsichtlich der möglichen und bislang noch kaum erprobten Selbstregulierung von Schutzgütern in Wildnisgebieten gesammelt werden.
1 Natura 2000 ist ein EU-weites Netz von Schutzgebieten zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten, den sogenannten Schutzgütern. Das Netz setzt sich zusammen aus den Schutzgebieten der Vogelschutz-Richtlinie (Richtlinie 2009/147/EG) und den Schutzgebieten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG).
Natur verändert sich ständig – räumlich wie zeitlich. Entscheidend ist ein strategischer Ansatz, der innerhalb einer Region mehrere Natura-2000-Gebiete gemeinsam betrachtet und dort sicherstellt, dass der gute Erhaltungszustand bewahrt wird.
Foto: ©Photocase, Sven Gruene