Traumjob Aasforscherin im Nationalpark Berchtesgaden
Im Gespräch: Sina Greiner
Wie haben Sie Ihren Traumjob gefunden?
Ich arbeite seit 2022 im Nationalpark Berchtesgaden. Studiert habe ich im Master Wildtierökologie und Wildtiermanagement an der Universität für Bodenkultur in Wien. Bereits während meines freiwilligen ökologischen Jahres im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft wurde mir bewusst, dass eine vom Menschen relativ unberührte Natur vielfältige Forschungsmöglichkeiten bietet. Daher war mir klar: hier möchte ich arbeiten.
Nach meinem Studium suchte ich gezielt nach Forschungsprojekten im Bereich der Wildtierökologie. Im Nationalpark Berchtesgaden wurde ich fündig – das Stellenprofil als Projektmanagerin der Wildtierökologie passte perfekt.
Wie sieht ein typischer Tag im Leben einer Wildtierökologin aus?
Es gibt keinen typischen Tag. Als Projektmanagerin im Sachgebiet Forschung und Monitoring des Nationalparks betreue ich alle Projekte mit wildtierökologischem Bezug. Flexibilität und Spontaneität sind gefragt, da stets mit Planänderungen zu rechnen ist. Oft arbeite ich an mehreren Projekten gleichzeitig.
Welches Projekt liegt Ihnen besonders am Herzen?
Das Aasökologieprojekt! Viele Vorgänge im Kreislauf des Lebens und die Bedeutung von Kadavern im Gefüge des Ökosystems werfen noch immer Fragen auf.
Wie gehen Sie hier vor?
Wenn ich für das Aasökologieprojekt unterwegs bin, startet der Tag mit der Vorbereitung der Feldmaterialien. Handschuhe, Tupfer, Mikroreaktionsgefäße, Becher für die Insektenfallen und vieles weitere wandern in meinen Rucksack. Anschließend mache ich mich auf den Weg ins Gelände, um die Kadaverplots mit verunfallten Rehen aus dem Straßenverkehr aufzubauen oder zu beproben.
Was nehmen Sie wahr, wenn Sie sich einem Kadaver nähern?
Die letzten Meter vor dem Plot begrüßt mich ein süßlich-saurer Geruch und ich sehe schon von Weitem die Bewegungen am Kadaver. Maden und Käfer bahnen sich ihren Weg, alle auf der Suche nach dem besten Happen, einem Paarungspartner oder einer guten Stelle um ihre Eier abzulegen. Hört man genau hin, kann man sogar das Knistern der Madenkörper wahrnehmen.
Sie beschreiben das mit Faszination in der Stimme…
Ja! Der Anblick, der bei anderen häufig erstmal einen ungläubigen Gesichtsausdruck auslöst, ist für mich faszinierend. Es ist beeindruckend zu beobachten, wie auf einem so kleinen Lebensraum tausende Individuen um eine Ressource konkurrieren, von der innerhalb weniger Tage nur noch Knochen und Hautfetzen übrigbleiben. Jeder Organismus hat seinen Platz und seine Aufgabe im Verwesungsprozess.
Zurück zu Ihrer Arbeit mit dem Kadaver. Sie haben gesagt, Sie bauen Kadaverplots auf. Was ist ein Kadaverplot und was geschieht im Anschluss mit den Proben?
Ein Kadaverplot ist eine Versuchsfläche. Diese besteht aus einem Kadaver, Insektenfallen am Rumpf und Hinterteil des Tieres, einem Datalogger und einer Wildkamera. An den Beprobungstagen werden die Insektenfallen geleert, ein Abstrich im Rachenraum gemacht, eine Bodenprobe unter dem Kadaver entnommen und das Verwesungsstadium durch Bilder dokumentiert.
Nachdem ich alle Proben genommen habe, ist die Feldarbeit beendet und es beginnt die Nachbereitung im Labor. Der Inhalt der Insektenfallen wird mit Alkohol konserviert, Bodenproben werden eingefroren, alle Feldutensilien gereinigt und desinfiziert sowie Protokolle und Bilder digitalisiert. Nach 30 Tagen endet das Intensiv-Monitoring an einem Plot, und nach weiteren drei Monaten werden Datenlogger und Wildkameras abgebaut.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung?
Das Aasökologieprojekt ist ein Projekt, das wir im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz durchführen. Es wird in 15 deutschen Nationalparken durchgeführt. Ziel ist es, die Verwesung in verschiedenen Großlandschaften zu untersuchen.
Welche Rolle spielen sterbliche Überreste von Tieren für die Wildnis des Nationalparks Berchtesgaden?
Die Verwesung ist ein natürlicher Prozess, der ein totes Tier langsam in seine elementaren Bestandteile zersetzt und diese, beispielsweise als Nährstoffe, im Ökosystem wieder verfügbar macht. Dabei dient der Kadaver als Hotspot für viele verschiedene Organismen wie Fliegen- und Käferarten, Pilze, Bakterien und andere Mikroorganismen. Aber auch größere Aasfresser wie Füchse, Raben, Meisen, Bussarde und Bartgeier profitieren vom toten Körper. Bis zu 6000 Arten nutzen den Kadaver als Nahrungsquelle, Lebensraum und Kinderstube. Fasst man den Blick ein wenig weiter, profitieren um die 14.000 Arten direkt und indirekt von einem Kadaver.
Das ist eine unvorstellbar hohe Artenanzahl auf so einem kleinen Lebensraum. Profitiert auch die Pflanzenwelt?
Ja, natürlich. Durch den Zersetzungsprozess werden auch Nährstoffe in den Boden eingetragen. Ein natürlicher Dünger von langer Dauer! Ein 30 Kilogramm schwerer Kadaver kann den Boden bis zu 100 Jahre lang mit Nährstoffen anreichern. Das trägt zu einem besseren Wachstum der Pflanzen bei.
Ein Kadaver ist mehr als nur ein totes Tier – es ist ein faszinierender Einblick in die Kreisläufe der Natur.
Sie erwähnten eingangs, dass Ihnen bereits am Anfang Ihres Berufslebens bewusst geworden ist, dass Sie gerne in der weitestgehend unberührten Natur arbeiten wollten. Was bedeutet Wildnis für Sie?
Wildnis bedeutet für mich genau das: unberührte Natur. Durch meine Arbeit bin ich täglich in der Wildnis des Hochgebirges unterwegs, dadurch ist mir auch bewusst geworden: Wildnis heißt auch ständiger Wandel. Nur weil es an einem Ort seit jeher einen Weg gibt, heißt das nicht, dass dieser am nächsten Tag noch passierbar ist. Regenereignisse, Schnee und Stürme formen und verändern die Landschaft fortwährend.
Warum ist Ihnen die Arbeit in der Wildnis wichtig?
Die Arbeit in der Wildnis bedeutet für mich zu lernen, sich auf das Unerwartete einzulassen und flexible Lösungen zu finden. Das bedeutet nicht immer nur Positives, sondern erschwert mir auch häufig die Arbeit. Totholzverhaue, Brombeeren, steile Hänge mit Geröll oder unerreichbare Felswände sind Hindernisse, die es zu bewältigen gilt. Unsere Versuchsflächen sind im ganzen Park verstreut und oft nur mit einem langen Fußmarsch über viele Höhenmeter zu erreichen. Nicht selten steigt man stundenlang zu einer Versuchsfläche auf, nur um festzustellen, dass man weiteres Werkzeug benötigt, weil eine Kameraaufhängung oder dergleichen kaputt ist – also heißt es absteigen und wiederkommen. Wer lernt, flexibel an Probleme heranzugehen und sich auf Änderungen einzustellen, wächst an diesen Situationen – und kann den Blick in eine spektakuläre und atemberaubende Kulisse heben.
Sie erwähnten bereits, dass die durch den Menschen relativ unberührte Natur viele Forschungsmöglichkeiten bietet. Welche sehen Sie hier, die nur in der Wildnis möglich sind?
Im Nationalpark darf Natur Natur sein. Der Großteil unserer Fläche ist Kernzone, hier herrscht Prozessschutz, das heißt, dass keine menschlichen Eingriffe stattfinden. Prozesse können ungestört ablaufen und die natürliche Dynamik kann sich frei entfalten. Im Gegensatz zur Kulturlandschaft entwickelt sich bei uns eine Naturlandschaft, deren Eigenschaften sehr wichtig sind, um natürliche Kreisläufe, in einer sonst durch Kulturlandschaft dominierten Welt, zu verstehen.