Interview mit Staatssekretär des BMU
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, auf zwei Prozent der Landesfläche Wildnis zuzulassen – in unserem dichtbesiedelten Land ein ambitioniertes Vorhaben. An welchen Stellschrauben muss die Politik drehen, damit sich mehr bewegt? Keiner kann zu dieser Frage besser Auskunft geben als der Staatssekretär des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) persönlich. Der Initiative „Wildnis in Deutschland“ stand er Rede und Antwort.
Herr Flasbarth, Wildnis ist in Deutschland sehr selten. Ist es Ihrer Meinung nach überhaupt wichtig, dass es Wildnis gibt?
Ja, Wildnis ist auch in Deutschland sehr wichtig und unbedingt notwendig! Um den großen, existenziellen Herausforderungen unserer Zeit, dem Klimawandel und dem Verlust an biologischer Vielfalt, wirksam zu begegnen, brauchen wir ein großes Bündel an effektiven Maßnahmen. Und eine der Maßnahmen ist unbestritten, Wildnis zuzulassen und zu sichern – also große, unzerschnittene Flächen, auf denen Natur Natur sein darf, auf denen natürliche Prozesse so ungestört wie möglich ablaufen können. Das gilt für uns in Deutschland wie auch im globalen Rahmen. Außerdem haben wir eine internationale Verantwortung.
Zu Recht fordern wir den Schutz von Naturlandschaften in den Tropen und Subtropen und finanzieren Projekte in diesen Regionen. Und gerade deshalb müssen wir uns auch in Deutschland ambitionierte Ziele geben und diese entschlossen umsetzen.
Wildnis kann auf allen Skalen entstehen, und eines unserer Wildnisziele, das sogenannte 2 Prozent-Ziel, bezieht sich ausdrücklich auf großflächige, möglichst unzerschnittene Wildnisgebiete, die größer als 1.000 Hektar bzw. in Auen, Mooren oder an Küsten größer als 500 Hektar sein sollen.
Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung, um mehr Wildnis zuzulassen?
Das Ziel der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) lautet, auf zwei Prozent der Landesflächen in Deutschland Wildnis zu sichern und zu erhalten. Dafür hat das Bundesumweltministerium im Sommer 2019 den Wildnisfonds, ein neues Förderprogramm zur Sicherung von Wildnisgebieten in Deutschland, gestartet. Damit wird eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen, neue Wildnisgebiete zu sichern bzw. bestehende Wildnisgebiete zu ergänzen und/oder zusammenzulegen. Seit 2020 stehen im Haushalt des BMU 20 Millionen Euro hierfür jährlich zur Verfügung. Auch weitere Förderprogramme, wie z.B. chance.natur oder das Auenförderprogramm im Rahmen des Bundesprogramms „Blaues Band Deutschland“ können Potenziale für Wildnis eröffnen.
Und der Bund hat selbst Flächen für den Naturschutz gesichert. Rund 156.000 Hektar ehemals bundeseigene Flächen wurden bislang im Rahmen des Nationalen Naturerbes für den Naturschutz bereitgestellt. Wenn in den Wäldern des Nationalen Naturerbes das Initialmanagement abgeschlossen ist und die Flächen, die nicht gepflegt werden müssen, dauerhaft sich selbst überlassen bleiben, werden sie einen beträchtlichen Beitrag zur Erreichung der Wildnisziele der NBS leisten.
Warum haben Sie sich persönlich für den Wildnisfonds eingesetzt?
Wilde, großflächige und unzerschnittene Gebiete sind unverzichtbar für den Schutz unserer Lebensgrundlagen und der biologischen Vielfalt.
Es ist aber angesichts der bekannten Flächenkonkurrenzen in unserem dicht besiedelten Land sehr schwierig, große, zusammenhängende Flächen zu finden und dauerhaft als Wildnisgebiete zu sichern. Umso wichtiger ist es, dass wir kontinuierlich weiter an der Umsetzung des Ziels arbeiten, zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands für großflächige Wildnis zu sichern. Es war mir daher ein persönliches Anliegen, ein schnelles und flexibles Förderinstrument einzurichten, um dieses Ziels zu erreichen. Ein solches Förderinstrument haben auch die Umweltverbände und die Länder gefordert.
Die Initiative „Wildnis in Deutschland“ appelliert in ihrer „Agenda für Wildnis“ an verschiedene politische Ressorts, ihren Beitrag zu leisten. Welchen Vorschlag erachten Sie als besonders zielführend?
Die „Agenda für Wildnis“ ist ein breit gefächerter Ideen-Pool, aus dem wir in den kommenden Jahren schöpfen können, um die Bedingungen für mehr Wildnis in Deutschland sukzessive weiter zu verbessern. Ich begrüße den Ansatz sehr, dabei über den klassischen Naturschutz-Tellerrand hinauszuschauen. Ich denke, insbesondere bei der Nutzung der Synergien – sei es mit dem Klimaschutz, dem Hochwasserschutz oder bei der Sanierung von Bergbaufolgelandschaften – gibt es große Potenziale.
Welche Rolle spielt die Initiative „Wildnis in Deutschland“ denn für die Politik?
Die Wildnisinitiative ist ein wertvoller Partner für die Naturschutzpolitik der Bundesregierung. Sie unterstützt die Umsetzung unserer Wildnisziele mit Flächenprojekten, Öffentlichkeitsarbeit und profundem Expertenwissen. Durch die Vernetzung von mittlerweile 20 Verbänden und Stiftungen ist sie ein durchsetzungsstarkes Sprachrohr der Interessen der Wildnis – und ihre Plattform wildnisindeutschland.de ist ein attraktives Medium, das auch wir im BMU gerne nutzen und weiterempfehlen. Das ergänzt sich gut mit den Informationsangeboten von BMU, Bundesamt für Naturschutz und Zukunft-Umwelt-Gesellschaft (ZUG, der Projektträgerin des Wildnisfonds). Der Wildnisinitiative gebührt große Anerkennung und Dank für diese ausdauernde und engagierte Arbeit für die Wildnis in Deutschland!
Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass der Rückgang der biologischen Vielfalt endlich gestoppt wird und der Klimawandel und seine Auswirkungen wirkungsvoll eingedämmt werden. Und dass wir in diesem wichtigen Jahr 2021 und weit darüber hinaus gemeinsam für die Wildnis weiter vorankommen werden: strategisch und auch ganz praktisch mit der Sicherung vieler weiterer Wildnisflächen.
Herr Flasbarth, wir danken Ihnen für dieses Interview und Ihre Einblicke.