Unterwegs in der Wildnis: Urwald vor den Toren der Stadt Saarbrücken
30. September 2024
Genau dreizehn Minuten dauert die Fahrt mit der Regionalstraßenbahn S1 vom Hauptbahnhof Saarbrücken in den „Urwald vor den Toren der Stadt“. Ein Hinweisschild und ein „Urwald“-Graffiti an der Unterführung der Autobahn zeigen: Hier ist man richtig. Noch ein kurzer Zubringerweg und dann spürt man es auch schon: Da ist sie, die Wildnis, so wortwörtlich vor den Toren der Stadt, dass es kaum zu glauben ist.
Der Weg durch den Urwald
Nur noch das Rauschen der hohen Baumwipfel ist an diesem windigen Herbsttag zu hören. Die Nachmittagssonne scheint durch das regennasse Blätterdach. Hier und da knarzt und knackt ein Baum. Windgeschützt läuft man auf einem Weg, der kaum erkennbar ist. Man rutscht ein bisschen auf dem feuchten, lehmigen Boden. Kein anderer Mensch ist zu sehen. Achtet man einmal nicht auf die vielen Wegzeichen, steht man direkt vor einem großen, umgestürzten Baum und seinem Astgewirr – nur nach einem Umweg und ein bisschen Suchen ist der Weg wieder gefunden.
Dieser bleibt unscheinbar, schlängelt sich an manchen Stellen so schmal den Hang entlang, wie man es sonst nur aus den Alpen kennt. Unterhalb fließt der Steinbach. An diesem läuft man eine Weile entlang, kann die kleinen und größeren Weiher bewundern, quert Zuläufe über kleine Holzbrücken und Stege. An manchen feuchten oder schlammigen Stellen finden sich nur kleine Tritthelfer aus Baumscheiben und Ästen. Immer wieder steigt man über umgestürzte Bäume oder taucht darunter hindurch. Die ausgewiesene Urwald-Tour ist etwas für all jene, die kleine Abenteuer lieben.
Auch Geschichtsinteressierte werden hier überrascht. Entlang des Weges finden sich kreisrunde Krater, sogenannte Bombentrichter. Entstanden sind sie im Deutsch-Französischem und im Zweiten Weltkrieg. Die Bevölkerung stellte damals Lichter in den Wald, um die Bomben weg von der Stadt zu lenken. Noch heute finden sich auch Granatsplitter in den Bäumen.
Gipfelbesteigung und Blick auf den Urwald
Läuft man immer weiter Richtung Tal der Stille lockt auch ein Gipfel. Kleiner Fuji wird die Spitzkegelhalde aus der Bergbauzeit von den Einheimischen liebevoll genannt. Steigt man die holzeingefassten steilen Tritte empor – man fühlt sich dabei wie ein Kleinkind, dem die Treppen bis zum Knie reichen – hat man von oben einen Blick auf den „großen Fuji“ und den dazwischenliegenden Urwald.
Buchen und Eichen dominieren hier das Bild. Obwohl es sich um einen ehemals bewirtschafteten Wald handelt, sind nur noch wenige Fichten zu sehen. Durch den Klimawandel und den Borkenkäfer gehen die im Saarland traditionell niedrigen Fichtenbestände im Urwald immer weiter zurück und werden zunehmend durch einen Mischwald ersetzt.
Bei der Wanderung entlang der Urwald-Tour ist das für die Wildnis so typische mosaikartige Wald-Muster – die Ausgangsvoraussetzung für einen biologisch vielfältigen Wald – sehr gut zu erkennen. Neben unterschiedlich strukturierten Buchen- und Eichenwäldern sieht man auch durch den Borkenkäfer abgestorbene Fichten und kurzlebigere Laubhölzer wie Birken, Vogelbeeren, Eschen und auch Hainbuchen, die im beginnenden Herbst langsam von grün auf bunt umstellen.
Der Weg zur Wildnis vor den Toren Saarbrückens
Ende der 1990er Jahre brachte der NABU die Idee und das Vorhaben ein, ein großflächiges Wildnisgebiet im Saarland einzurichten und war nach einiger Zeit damit erfolgreich. Zuerst wurde rund 400 Hektar des Wirtschaftswalds „von heute auf morgen“ aus der Nutzung genommen – ohne vorangestellte Maßnahmen, den Wald naturnah umzubauen. Man wollte einfach sehen, wie er sich entwickelt. Im Jahr 2002 unterzeichneten das Ministerium für Umwelt, der NABU Saarland und der SaarForst Landesbetrieb einen Partnerschaftsvertrag zum Urwaldprojekt. Das Wildnisgebiet wurde nach und nach immer wieder erweitert und es sind weitere Arrondierungen geplant, sodass ein mehr als 1000 Hektar großes, weitgehend unzerschnittenes Wildnisgebiet zeitnah entstehen soll.
Wildnis als Erfolgsmodell
Für die drei Partner ist das Urwaldprojekt bis heute ein Erfolg. Es ist nicht nur Zeichen einer gelungenen Zusammenarbeit, es wurde auch ein großes Freilandlabor geschaffen. So lässt sich hier beobachten, wie die Natur ohne menschliche Eingriffe auf den Klimawandel reagiert und sich anpasst, und es kann für den Nutzwald gelernt werden – beispielsweise, wie dieser naturnah, klimaresilient, biologisch vielfältig und trotzdem ertragreich bewirtschaftet werden kann.
Nicht zuletzt hat die lokale Bevölkerung ein Erholungsgebiet erhalten, das direkt vor ihrer Stadt liegt. Auf dem Weg zurück vom kleinen Fuji, durch das Tal der Stille, vorbei am Friedwald und dem Naturfreundehaus Kirschheck mit Einkehrmöglichkeit fragt man sich doch, ob die Bevölkerung Saarbrückens ausreichend um ihr Glück weiß. Das Glück so ein Wildnisgebiet, nur dreizehn Straßenbahnminuten von der Innenstadt Saarbrückens entfernt, jederzeit besuchen zu können.
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