Kulturschaffender trifft Wildnisschaffende

Im Gespräch: Lars Ruppel

Lars Ruppel © Ole RuppelLars Ruppel wurde 1985 im hessischen Gambach geboren und wollte Dichter werden, seit er 16 Jahre alt ist. Als er das seiner Mutter mitteilte, sagte sie erst einmal lange nichts. Jetzt ist sie sein größter Fan. Er studierte nie, machte keine Ausbildung, stattdessen wurde er bekannt als Poetry Slammer, gewann zahlreiche Meisterschaften und Slams in der DACH-Region. Inzwischen lebt er in Berlin und verdient sein Geld mit Auftragsgedichten, Poetic Recordings und Videos. Auch für die Wildnis hat er bereits mehrmals getextet, unter anderem bei der Tagung Wildnis im Dialog 2020 und jüngst zum 25-jährigen Jubiläum der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg – Die Wildnisstiftung.

Herr Ruppel, zum Jubiläum der Wildnisstiftung haben Sie getextet: „Betrachtet man Wildnis, betrachtet man Zeit, man sieht was passiert, wenn Natur sich befreit. […] Die Natur vollführt Kunststücke, wenn man ihr vertraut. Sie nimmt sich den Raum, dann malt sie ihn aus. Sie macht, wenn man ehrlich ist, das Beste daraus.“ Das ist eine wundervolle Beschreibung von Wildnis und ganz nebenher sprechen Sie an, was es braucht, um Wildnis zuzulassen. Wie sind Sie auf diesen Text gekommen?

Ich liebe Brachen. Wenn in Berlin mitten in der Stadt auch nur ein Jahr eine Fläche sich selbst überlassen wird, entsteht ein kleines wundervolles Biotop, dass zwischen dem ganzen Beton erstrahlt. Das tröstet mich immer, zu sehen, dass Wunden, die der Mensch in die Welt reißt, wieder heilen können. Hätte ich sehr viel Geld würde ich garstige Konsumtempel kaufen, sie abreißen und kleine wilde Paradiese erschaffen.

Bereits 2012 haben Sie ein Gedicht mit dem Namen „Holger, die Waldfee“ geschrieben und 2017 haben Sie mit der Fabel „Brat mir doch einer `nen Storch“ das Wahlprogramm der AFD erklärt. Dies sind nur zwei Beispiele von Gedichten, die stark durch die Natur inspiriert sind. Welche Verbindung sehen Sie zwischen (wilder) Natur und der Poesie?

Seit jeher beziehen künstlerische schaffende Menschen Inspiration aus der Natur. Ich glaube, das liegt an dem Kontrast zwischen dem, wie die Natur ist, und dem, was die Menschen aus der Welt machen. Es ist ungerecht, was passiert. Wir Menschen verhalten uns egoistisch. Die Zerstörung der ursprünglichen Ordnung, des Perfekten, macht einen wahnsinnig und traurig, wenn man empfindsam ist. Gleichzeitig wirkt die Natur beruhigend, sogar euphorisierend. Emotionen sind der Treibstoff der Kunst und zwei so weit auseinander liegende starke Gefühle erzeugen eine Menge Energie.

Sie möchten durch ihre Arbeit unter anderem die Freude an der Sprache vermitteln. Die Initiative Wildnis in Deutschland setzt sich seit nun zehn Jahren dafür ein, mehr Wildnis in Deutschland zu schaffen und zu sichern. Sie als Kulturschaffender, was würden Sie uns „Wildnisschaffenden“ gerne mitgeben?

Bleiben Sie frech, aufmüpfig und selbstbewusst. Wildnis ist kein nice-to-have, keine exotische Idee irgendwelcher Umweltschützer*innen,  sondern eine Bringschuld der Menschheit. Lasst euch nicht an den Rand drängen, schiebt euch nach vorne und seid laut. Gleiches gilt für die Kunst: Alle Menschen sind schöpferische Wesen. Kultur ist das, was uns als Menschen definiert, lasst uns das wiederfinden!

„Ein Menschenleben ist zu kurz, um Wildnis zu begreifen“ haben Sie 2020 als Zusammenfassung der Tagung „Wildnis im Dialog“ spontan gedichtet. Sie selbst sind jetzt 40 Jahre alt, haben selbst Kinder. Als Hainbuche, wären Sie noch im Kindergartenalter, als Eiche gerade so geboren, als Mensch sind Sie im mittleren Lebensabschnitt. Hat sich ihr Blick auf die Natur und speziell Wildnis im Laufe der Zeit geändert? Welche Naturerlebnisse wünschen Sie ihren Kindern?  

Ich hatte schon immer eine große Wut auf die betonverkippende Zivilisation und wenig Verständnis für die Menschen, die ihre Bedürfnisse nach Einkaufsmöglichkeiten, Autobahnen, Parkplätzen und pflegeleichten Gärten auf Kosten der Natur erfüllt haben wollten. Die Wut ist noch da, aber nicht mehr auf die Menschen, sondern auf das System, das sie zu dem macht, was sie sind. Es ist schwer sich vom Kapitalismus zu emanzipieren, wenn man nie etwas anderes erlebt hat. Ich habe heute mehr Geduld und versuche in Gesprächen Alternativen aufzuzeigen. Meinen Kindern ermögliche ich die Naturerlebnisse, die ich haben durfte. Doch mir geht es viel mehr um die Kinder der Menschen, denen das verwehrt bleibt. Zugang zur Natur zu erhalten, darf kein Privileg einer Klasse sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Gedicht über 25 Jahre Die Wildnisstiftung von Lars Ruppel

Das Gedicht „Holger, die Waldfee“ von Lars Ruppel