Unterwegs in der Wildnis
Zu Besuch im Nationalpark Berchtesgaden
Wildnis in Deutschland. Gibt es noch wilde Natur in unserem dichtbesiedelten Land? Gebiete, in denen Natur wirklich Natur sein darf, sind selten in Deutschland. Schon seit Jahrhunderten wird nahezu die gesamte Landfläche für Siedlung, Gewerbe, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft genutzt. Mit welchen Voraussetzungen und Herausforderungen ist Wildnisentwicklung konfrontiert? Antworten darauf finden sich am eindrücklichsten vor Ort, zum Beispiel im Nationalpark Berchtesgaden, Deutschlands zweitältestem Nationalpark.
Berchtesgaden, das bedeutet spektakuläre Berggipfel und stimmungsvolle Täler, erkenntnisreiche Touren mit dem Ranger am Ufer des Königsees entlang oder rauf auf die sonnigen Murmeltierhänge, begleitet von postkartenreifen Aussichten auf Schritt und Tritt.
Die drei Täler des Nationalparks, das Klausbachtal, das Wimbachtal und das Königsseetal sind umgeben von den Salzburger Kalkhochalpen. Bergmischwälder wie die bedeutendsten Lärchen-Zirbenwälder der nördlichen Ostalpen prägen den alpinen Charakter des Nationalparks, wie auch Berggipfel, Schuttfluren, Felsen und Gletscherreste. Zu den Tierarten die hier zuhause sind gehören Gämse und Steinböcke, Rehe und Rothirsche, Dachs, Fischotter und Hermelin.
Großflächige Wildnisgebiete können unsere Sehnsucht nach ursprünglichem Naturerleben stillen. Daher sind beispielsweise die Nationalparke auch in Deutschland Tourismusmagneten. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland gibt an, Natur umso schöner zu finden, je wilder sie ist. Wirklich ursprüngliche Wildnis im Sinne von Urwäldern gibt es in Deutschland jedoch schon lange nicht mehr. Wenn wir von Wildnisgebieten, Kernzonen und „Natur Natur sein lassen“ sprechen, meinen wir, dass in diesen Gebieten die Wildnis von morgen entsteht. Das zeigt sich auch in Berchtesgaden.
Denn die Ausgangssituation für den Nationalpark, der 2023 sein 45. Jubiläum feiert, ist stark vom Menschen überprägt. Einzelne Elemente, die ursprünglich zum Ökosystem gehörten, fehlen heute, wie die vom Menschen ausgerotteten Beutegreifer Wolf, Bär und Luchs. Die Baumartenzusammensetzung entspricht nicht mehr derjenigen, die hier ursprünglich vorherrschte – unter anderem um den Holznachschub zum Betreiben der Salinen in Berchtesgaden und Bad Reichenhall zu gewährleisten, wurde die Fichte angepflanzt und geerntet. Außerdem war das Gebiet des heutigen Nationalparks lange Zeit Jagdgebiet und wurde auf den Jagderfolg hin ausgerichtet. So hinderte ein für diesen Zweck errichteter Zaun das Wild daran, die Täler zu verlassen und in andere Gebiete abzuwandern. Auf diese Art wurde die Anzahl künstlich hochgehalten, was bis heute zu einer sehr hohen Wilddichte mit großem Fraßdruck führt.
Der Nationalpark Berchtesgaden ist ein guter Ort, um von denjenigen zu lernen, die als Rangerinnen und Ranger Besuchende Tag für Tag an ihren Erfahrungen mit der Natur im Nationalpark und ihrem Wissensschatz teilhaben lassen. Sie teilen ihre Begeisterung und versuchen den vielen Touristinnen und Touristen auch Ehrfurcht vor der beeindruckenden Natur hier zu vermitteln. Wenn man ihren Erzählungen lauscht, wird deutlich, wieso es für die Natur so wichtig ist, das menschliche Ego auch mal hintenan zu stellen und die natürlichen Abläufe sich selbst zu überlassen.
Die Rangerinnen und Ranger berichten anschaulich von den Steinadlern, die sich hier sehr wohlfühlen, von besonderen Bäumen im Nationalpark und ihren Geschichten, davon wie die natürliche Sukzession der Wälder zu beobachten ist, seit in ihre Entwicklung nicht mehr eingegriffen wird. Auch Geschichten über die erfolgreiche Auswilderung der Bartgeier dürfen natürlich nicht fehlen. Und sie erzählen detailreich von den komplexen ökologischen Zusammenhängen, zum Beispiel davon, wie der Tannenhäher dafür sorgt, dass die Samen der Zirbe verbreitet werden.
Pro Jahr besuchen ca. zwei Millionen Menschen den Nationalpark Berchtesgaden, um über den Königssee zu schippern, durch die Täler zu wandern, den einen oder anderen Gipfel zu erklimmen und an den Angeboten des Nationalparks teilzunehmen. Es wichtig, geschützte Gebiete für Menschen zugänglich zu halten, denn nur was man kennt und liebt, möchte man bewahren. Allerdings stellen die Masse an Besuchenden und daraus resultierende Verstöße gegen Wegekonzepte, wildes Campen in der Kernzone und Lagerfeuer die Nationalparkverwaltung auch vor große Herausforderungen. Durch Social Media kommt zusätzlich die Aufgabe hinzu, Menschen davon zu überzeugen, auf den Wegen zu bleiben und nicht dem Reiz des Verbotenen (in Form dieses einen „besonderen“ Fotos) in die sensiblen Ökosysteme zu folgen. Auch hier sind die Rangerinnen und Ranger gefragt und sammeln die Abtrünnigen wieder ein.
Eine Portion Wildnis in Ihr E-Mail-Postfach?
Bleiben Sie mit unserem Newsletter rund um das Thema Wildnis auf dem Laufenden.