1. Potential für mehr Wildnis

1. Potenzial für mehr Wildnis

Wildnis ist grundsätzlich in allen Typen der Naturlandschaft möglich: Wälder, Hochgebirge, Küsten, Flüsse und Auen, Seen sowie Moore und Kombinationen aus ihnen. Entscheidend ist, dass Qualitätsstandards wie Mindestgröße, Unzerschnittenheit und Ungestörtheit erfüllt werden. 

Als „Waldland“ verfügt Deutschland über große Potenziale in unzerschnittenen Waldflächen. Für Konversionsflächen 1 und Folgelandschaften des Bergbaus stellen Wildnisgebiete unter Umständen eine große Chance dar. Zusätzlich können gezielte Anreize und die Nutzung von Synergieeffekten zusätzliche Möglichkeiten für mehr Wildnis schaffen. Weitere Analysen sind dringend nötig, um das tatsächliche Potenzial für Wildnisgebiete abschätzen zu können. Dazu bedarf es eines abgestimmten Vorgehens von Bund und Ländern mit einheitlichen Kriterien für Wildnisgebiete.

Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) legt das konkrete Ziel fest, dass sich auf zwei Prozent der Landesfläche Natur nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln kann (Zwei-Prozent-Wildnisziel). Die NBS wurde 2007 ressortübergreifend abgestimmt und ist seitdem Grundlage für die naturschutzpolitischen Regierungsprogramme. Zudem hat das Bundesumweltministerium 2015 in seiner Naturschutzoffensive 2020 das Zwei-Prozent-Wildnisziel als eines von zehn prioritären Handlungsfeldern der NBS identifiziert 2.

Auf Länderebene haben bislang nur wenige Regierungen dieses Ziel als politisch verbindlich in ihre Regierungsprogramme aufgenommen. In zahlreichen Bundesländern wird derzeit vor allem das themenverwandte Fünf-Prozent-Ziel gemäß der NBS erfolgt. Hierbei wird eine natürliche Waldentwicklung auf fünf Prozent der Waldfläche angestrebt (NWE5-Ziel). Um dieses NWE5-Ziel zu erreichen, ist gemäß der NBS die öffentliche Hand dazu angehalten, vorbildhaft voranzugehen und zehn Prozent des öffentlichen Waldes aus der forstwirtschaftlichen Nutzung zu nehmen. Bislang werden dabei aber vorrangig viele kleine Flächen (0,3 bis 5 Hektar) in eine natürliche Waldentwicklung übergeben. Es empfiehlt sich jedoch das NWE5-
Ziel und das Zwei-Prozent-Wildnisziel gemeinsam zu verfolgen. Denn große Waldschutzgebiete können gleichzeitig zu beiden Zielen (NWE5-Ziel und Zwei-Prozent-Wildnisziel) beitragen. Entscheidend ist, dass Bund und Länder ihr Vorgehen abstimmen und einheitliche Kriterien für Wildnisgebiete schaffen.

Für privatrechtliche Initiativen und Privatpersonen müssen Anreize und Erleichterungen geschaffen werden, damit sie sich einem Beitrag zum Zwei-Prozent-Wildnisziel weiter öffnen können.

Außerhalb der öffentlichen Wälder gibt es auf bestehenden Konversionsflächen und in Folgelandschaften des Bergbaus besonders große Potenziale für Wildnisgebiete. Für eine wirtschaftliche Nutzung sind hier die Ausgangssituationen problematisch: Ehemalige Militärflächen sind durch Munition belastet, Rutschungen in Bergbaufolgelandschaften möglich. Die Umnutzung als Wildnisgebiet bietet eine Chance für Naturschutz und Gesellschaft, auch im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung. Wildnisgebiete in Auenbereichen leisten zusätzlich einen konkreten Beitrag zum Hochwasserschutz. Solche Win-win-Situationen müssen konsequent genutzt werden. Dafür bedarf es Kooperationen unter anderem mit der Wasserwirtschaft und strategischer Ansätze auf überregionaler Ebene.

Letztendlich sind Analysen zum weiteren Potenzial von Wildnisgebieten in den Bundesländern nötig, die die tatsächliche Verfügbarkeit der Flächen (z. B. deren Besitzverhältnisse) berücksichtigen. Im Zuge dessen muss geprüft werden, ob bestehende Wildnisgebiete arrondiert, das heißt, deren Grenzziehungen zweckmäßig verändert und ggf. erweitert werden können.

Darüber hinaus müssen Anreize z. B. durch steuerliche Erleichterungen geschaffen werden, damit sich auch privatrechtliche Initiativen und Privatpersonen einem Beitrag zum Zwei-Prozent-Wildnisziel öffnen. Denkbar wären die Befreiung von der Grundsteuer, von Boden- und Wasserabgaben und von der Umsatzsteuer bei Abkauf des Nutzungsverzichts. Außerdem fehlt es an kurzfristigen Fördermöglichkeiten vor allem im Bereich der finanziellen Unterstützung von Flächenerwerb.

Ausweisungen und Erweiterungen von Nationalparks und Naturschutzgebieten z. B. im Zuge der Sicherung des „Nationalen Naturerbes“ bieten Chancen, Wildnisgebiete zu sichern. Entscheidend für alle Wildnisgebiete ist, dass sie dauerhaft und auch nach außen wirksam rechtlich gesichert sind. Eine Ausweisung – z. B. als Naturschutzgebiet oder als Nationalpark – mit dem vorrangigen oder ausschließlichen Schutzzweck „Wildnis“ ist anzustreben.

1 ehemalige Militärflächen, die nun für zivile Zwecke genutzt werden können

2 www.bmub.bund.de/naturschutz-offensive-2020

3 www.bfn.de/0325_nationales_naturerbe.html

In Bergbaufolgelandschaften kann Wildnisentwicklung eine Chance für Naturschutz und Gesellschaft sein, auch im Sinne einer nachhaltigen Regionalentwicklung.
Foto: ©Falko Heidecke

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