9. Wildnis und ihre Gestalter

9. Wildnis und ihre Gestalter

Stürme, Lawinen, Überflutungen, Dürreperioden und Feuer zählen zu den wesentlichen Erscheinungen unbelebter Natur, die die Landschaftsentwicklung beeinflussen. In der Kulturlandschaft sind solche natürlichen Ereignisse mitunter unerwünscht, führen zu Ertragseinbußen und werden oft als Katastrophen wahrgenommen. In Wildnisgebieten hingegen sind sie ein willkommenes Element natürlicher Prozesse, die Lebensgemeinschaften formen und wesentlich zu deren Dynamik und Vielfalt beitragen.

Hier lösen diese natürlichen Ereignisse oft Veränderungen in den Lebensgemeinschaften aus, die das Ökosystem zusätzlich prägen. Insektenbefall, z. B. durch Massenvermehrungen des Fichtenborkenkäfers (Buchdrucker), des Großen Braunen Rüsselkäfers oder der Nonne, kann zum Absterben einzelner Bäume bis hin zu ganzen Beständen auf großer Fläche führen. Durch Totholz und Lichtungen entstehen Nahrungsangebote sowie neuer vielfältiger Lebensraum für spezialisierte Arten. Reinbestände einzelner Baumarten in (ehemaligen) Wirtschaftswäldern sind besonders anfällig für Insektenbefall. Durch das dichte Angebot einer bevorzugten Baumart sind sie für die jeweilige Insektenart sehr attraktiv. Ohnehin sind diese Bestände durch Stress oder durch nicht standortgemäßen Waldbau, aus dem sie oft hervorgegangen sind, anfällig. Wird ein über lange Zeit bewirtschafteter und von Reinbeständen geprägter Wald in die natürliche Entwicklung überführt, kann es zum Absterben ganzer Baumbestände kommen. Dies war zum Beispiel in den Nationalparks im Harz oder im Bayerischen Wald der Fall. Die dynamische Entwicklung führt jedoch zu neuem, vielfältigem Leben mit naturnahen Ökosystemen, die optimal an ihren Standort angepasst sind.

Für die Natur gibt es keine Katastrophen. Dynamische Entwicklung führt zu neuem, vielfältigen Leben.

Klein- und Kleinstlebewesen, wie Würmer, Schnecken und Insekten, die sich von Pflanzen und ihren Bestandteilen ernähren, gestalten die Landschaftsentwicklung. Sie machen einen großen Teil der tierischen Biomasse in einem Ökosystem aus und prägen die natürlichen Prozesse, die unbedingt zugelassen werden sollten. Das gilt auch für den Einfluss pflanzenfressender Säugetiere. Dieser reicht von größeren Pflanzenfressern wie Hirsch und Reh bis hin zu kleineren Vertretern wie Wühl- und Langschwanzmäusen, die Wurzeln und Rinden benagen oder Samen und Keimlinge fressen und so die Verjüngung von Bäumen stark einschränken können. So können diese Arten, die im Wirtschaftswald gegebenenfalls bekämpft werden, dazu beitragen, dass Lichtungen länger offenbleiben. Einer der eindrücklichsten Landschaftsgestalter ist der Biber, der Bäume fällt, Fließgewässer aufstaut und so für neue Gewässerverläufe bis hin zum Entstehen ganzer Seenketten sorgen kann. Was im Wirtschaftswald oder auf landwirtschaftlichen Flächen Ertragsverluste bedeuten kann, ist insbesondere in Wildnisgebieten ein willkommener Beitrag zur Dynamik.

Maßnahmen zum Schutz angrenzender Flächen für Forst- und Landwirtschaft sind nur in den Pufferbereichen zulässig. Wildnisgebiete bieten so die Gelegenheit, zu erleben und zu lernen, wie Lebensräume sich in einem Netzwerk unterschiedlichster Entwicklungsphasen selbst steuern und entwickeln. Eine Erkenntnis daraus ist, dass es Katastrophen für die Natur nicht gibt, sondern nur Ereignisse, die den Lauf der Dinge immer wieder beeinflussen und verändern und damit Garanten und Quellen biologischer Vielfalt sind.

Massenvermehrungen des Borkenkäfers können zum Absterben ganzer Baumbestände führen. Die dynamische Entwicklung führt jedoch zu naturnahen Ökosystemen, die optimal an ihren Standort angepasst sind.
Foto: ©Daniel Rosengren

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